Montag, 24. September 2018

Leichen säumen seinen Weg



Theater Paderborn spielt wieder Shakespeares Königsdrama „Richard III.“ 

Pressemeldung - Er ist einer der großen Schurken der Weltliteratur: Richard III. Angsteinflößend und faszinierend zugleich. Um seine Ziele zu erreichen geht er über Leichen. Er, der Hässliche, Verbitterte, Bucklige und Hinkende will König von England werden. Er ist besessen davon, sein Ziel zu erreichen, obwohl er dafür weder irgendeine Qualifikation noch den Hauch einer Chance besitzt. Sein älterer Bruder Edward regiert, der zweite Bruder Clarence und andere Rivalen drohen seinem Streben gefährlich zu werden. Doch zu seinem Aufstieg ist Richard jedes Mittel recht: Schmeichelei, Fälschung, Betrug und Mord, serviert mit dem Lächeln eines professionellen Blenders. So räumt er seine Feinde beiseite und verspricht seinen Unterstützern neben eigenen Vorteilen den Erhalt der nationalen Sicherheit. Und währenddessen schweigt das Volk, aus Ungläubigkeit, Angst oder Gleichgültigkeit. So macht Richard als schurkischer Politdarsteller sogar das Publikum zu willigen Komplizen, die sich der Faszination für das Hässliche und den „aufhaltsamen Aufstieg“ eines Monstrums nicht entziehen können. 
Die Inszenierung von Martin Schulze, die bereits am 2. Juni Premiere im Großen Haus des Theater Paderborn feierte, landete bei der überregionalen Theaterplattform Nachtkritik kurzerhand auf Platz 3 der Kritiker-Charts. 
Karten für die Vorstellung am 27. September, so wie für alle weiteren Vorstellungen sind an der Theaterkasse am Neuen Platz 6 oder online auf www.theater-paderborn.de erhältlich.

Die Rezension von Erhard Hofmann (TdZ) lesen Sie hier >

Samstag, 8. September 2018

Aufstand gegen Trump?


von Kai Ehlers

Quer zu allen anderen Ereignissen, welche die Welt zurzeit beunruhigen, wehen im „Weißen Haus“ und darum herum zurzeit bemerkenswerte Winde. Ein „hoher Mitarbeiter“, so meldete es die „New York Times“ vor ein paar Tagen, klärte die amerikanische und die Weltöffentlichkeit mit einem anonymen Text darüber auf, dass es eine „stille Widerstandsbewegung innerhalb der Regierung“ gegen Trump gebe. Sie sei bemüht, dessen erratische Unberechenbarkeit im Interesse des „beständigen Staates“, gemeint sind selbstverständlich „die Amerikaner“, die USA, zu korrigieren.
Nun soll an dieser Stelle nicht der anonymen Ecke nachspekuliert werden, aus der dieser ziemlich übel riechende Wind weht. Man beachte aber folgende Passage:

"Es mag in diesen chaotischen Zeiten nur ein schwacher Trost sein, aber die Amerikaner sollten wissen, dass Erwachsene im Raum sind. Wir erkennen voll und ganz, was geschieht. Und wir versuchen auch dann das Richtige zu tun, wenn Donald Trump das nicht tut. Deshalb gibt es eine zweigleisige Präsidentschaft.
Nehmen Sie die Außenpolitik: Öffentlich wie im vertraulichen Gespräch bekundet Trump eine Vorliebe für Autokraten und Diktatoren wie zum Beispiel den Russen Wladimir Putin und den nord-koreanischen Führer Kim Jong-un, und er zeigt wenig wahren Sinn für die Bande, die uns mit verbündeten, gleichgesinnten Nationen verbinden. Wie kluge Beobachter bemerkt haben, arbeitet der Rest der Regierung auf einem anderen Gleis, auf dem Länder wie Russland für ihre Einmischung gerügt und entsprechend bestraft werden und auf dem Verbündete rund um die Welt als Gleiche behandelt und nicht als Rivalen verhöhnt werden.
In Sachen Russland etwa war der Präsident unwillig, so viele der Spione Putins wegen der Vergiftung eines früheren russischen Spions in Großbritannien auszuweisen. Wochenlang hat er über hohe Mitarbeiter gejammert, die ihn in eine weitere Konfrontation mit Russland zwängen, und er gab sich frustriert darüber, dass die Vereinigten Staaten gegen das Land weiterhin Sanktionen wegen dessen Fehlverhalten verhängten. Aber sein sicherheitspolitisches Team wusste es besser – solche Schritte mussten ergriffen werden, um Moskau zur Rechenschaft zu ziehen." (siehe FAZ, 07.09.2018)

Klar, dass Trump gegen „Verrat“ poltert. Soweit darf man das Schauspiel einer sich selbst zersetzenden Weltmacht mit sachlichem Interesse zur Kenntnis nehmen. Auch die Positionierung gegen Russland ist nichts Neues. Aber was bedeutet dieser Regelbruch, der die Brüche, welche die Welt inzwischen von Trump gewohnt ist, noch weit in den Schatten stellt, für die internationale, die zurzeit noch herrschende Ordnung? Müssen wir uns auf einen back slash gefasst machen? Welche Kräfte werden aus dem absehbaren Chaos hervorbrechen?
Das sind Fragen, auf die es zurzeit keine Antwort gibt, wenn man sich nicht in Schwarz-Weiß-Mustern verfangen will. Die amerikanische Gesellschaft ist gespalten. Die Europäische Union in ihrer Unentschiedenheit zwischen atlantischer und eurasischer Orientierung befangen. Russland steht vor enormen sozialen Herausforderungen, welche die von Putin in jüngerer Vergangenheit eingenommene Rolle des globalen Krisenmanagers stark einschränken können. China steht als Ergebnis seiner jahrelangen Ein-Kind-Politik vor enormen demografischen Problemen, die ebenfalls soziale Erschütterungen erwarten lassen. Südamerika? Afrika? Die UNO? Die Konkurrenz der nationalen Interessen lässt bestenfalls ein globales Patt, eine prekäre globale Stagnation entstehen. Auf Dauer ist diese Ordnung jedoch nicht weiter lebensfähig. Sie kann nur noch Übergang sein, Übergang, um es klar zu sagen, in eine Welt, die nicht allein von Profitmaximierung bestimmt wird. 

www.kai-ehlers.de



Montag, 3. September 2018

Andorra im Theater Paderborn


TdZ-Autor Erhard Hofmann hat sich im Theater Paderborn das erste Stück der neuen Spielzeit angesehen. Sein Fazit: "... hier wird Frischs Intention deutlich, das Versagen angeblich humanistischer und demokratischer Zivilgesellschaften offen zu legen in Zeiten, in denen couragiertes und waches Individualverhalten vonnöten wären."

Das Ensemble - Foto Kreft

Schon im Vorfeld der Premiere von Max Frischs Klassiker „Andorra“ hat das Theater Paderborn für reichlich Gesprächsstoff gesorgt: In einer Grafik im Programmheft zur gesamten Spielzeit werden die Entwicklung der Wahlergebnisse von NSDAP in den 30er Jahren und AFD heute sowie die Zahl der antisemitischen Straftaten im Jahr 2017 und die Zahl der ermordeten Menschen während des Holocaust dargestellt. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt?
Frischs Parabel von 1961 muss als Erklärungsversuch gesehen werden, welche Mechanismen in einer Gesellschaft greifen müssen, damit ein menschenverachtendes Schreckensregime wie der Nationalsozialismus sich in einer von den Werten des Humanismus durchdrungenen Zivilgesellschaft breitmachen kann. Und natürlich muss die Frage erlaubt sein, wie es möglich ist, dass antisemitisches, rassistisches und xenophobes Gedankengut auch heute wieder breite Bevölkerungsschichten bis in die Mitte unserer Gesellschaft erfassen kann.
Diese Frage hat Tim Egloff in seiner Paderborner Inszenierung, mit der die Spielzeit 2018/19 eröffnet wurde, zum Thema gemacht. Die Geschichte ist schnell erzählt: Andri (Tim Tölke) wächst in der fiktiven und doch real existierenden Kleinstadt Andorra als angeblich jüdischer Pflegesohn des Lehrers Can (Alexander Wilß) auf. In Wahrheit entspringt er jedoch einer unehelichen Liaison mit einer Ausländerin (Kirsten Potthoff) aus dem feindlichen Nachbarstaat, den sogenannten „Schwarzen“. Diese Lebenslüge des Vaters kommt erst ans Tageslicht, als Andri sich in seine Halbschwester Barblin (Gesa Köhler) verliebt und um deren Hand anhält. Über den frömmelnden Pater Benedikt (Jacob Keller) erfährt er schließlich seine wahre Identität.Die kleinbürgerlich-spießigen und in ihren Ängsten verhafteten Bewohner Andorras, als da wären der Soldat (Carsten Faseler), der Tischler (Patrick O. Beck), die Doktorin (Mona Kloos), der Wirt (Ogün Derendeli) und der Geselle des Tischlers (Robin Berenz), begegnen Andri permanent mit Vorurteilen, mit reichlich plumpen Ausgrenzungsversuchen und unerträglichen Erniedrigungen, so dass er, selbst nachdem er seine wahre Herkunft erfahren hat, an der ihm zugewiesenen jüdischen Identität festhält. Am Ende steht nach dem Einmarsch der „Schwarzen“ seine Ermordung durch das rassistische Nachbarvolk.
Egloffs stringente Inszenierung teilt die 12 Szenen des Stückes in zwei Blöcke mit einer Pause nach dem neunten Bild. Der Bühnenraum, gestaltet von Selina Traun, ist im ersten Teil begrenzt durch drei riesige, weiße Styroporwände, nur an der Rückwand führt ein mächtiger Holzbalken diagonal durch die Wand. In gleißend weißem Licht versucht Barblin zu Beginn nicht zu weißeln, wie es die Textvorlage eigentlich vorsieht, sondern die Fugen der trotz ihrer Mächtigkeit brüchig wirkenden Wand zu kitten. Zwischen den Szenen treten die Andorraner einer nach dem anderen in kurzen Passagen aus der Handlung heraus. In ihren fadenscheinigen Erklärungen rechtfertigen sie ihr Fehlverhalten und ihre erbärmliche Feigheit. Die Jämmerlichkeit der Figuren wird wunderbar unterstützt durch ihre Kostümierung (Kostüme ebenfalls Selina Traun), die bei allen das Klischeehafte ihrer Person verstärkt. Die Bewegungen dieser namenlosen Gestalten auf der Bühne sind oft stakkatoartig, wenig individualisiert, die Laufwege bis in die kleinste Linie choreografiert, selbst die Vergewaltigung Barblins durch den Soldaten ist stilisiert dargestellt. Da ist kein Leben, keine Empathie, keine Emotion, nichts! Hier wird Frischs Intention deutlich, das Versagen angeblich humanistischer und demokratischer Zivilgesellschaften offen zu legen in Zeiten, in denen couragiertes und waches Individualverhalten vonnöten wären. Allein Andri und seine Halbschwester Barblin treten als Menschen mit einem Gewissen und einem Empfinden für Wahrheit auf. In einem tief erschütternden Monolog schreit sich Andri sein Anderssein von der Seele, klagt seine Heimatlosigkeit, seine angebliche Feigheit, seine Angst, sein anders Fühlen und sein Erschrecken über sich selbst an, erkennt sich als Inkarnation des Bösen, die jedoch nötig erscheint, um die anderen in ihrer Welt des kollektiven Vorurteils überleben zu lassen. 
Im zweiten Teil ist die weiße Wand weg. Eine Armada von Scheinwerfern und eine schwarz-grau-weiße Fahne begrenzen nun den öffentlichen Platz, öffnen der Invasion durch die „Schwarzen“ Tür und Tor. Es herrscht Angst und Schrecken, in einer öffentlichen Zurschaustellung, in der ein sogenannter Judenschauer (Kirsten Potthoff) Juden angeblich an ihrem Gang erkennt, wird das Finale eingeläutet. Hier übertreibt Egloff in unnötiger Weise. Die in laszivem, knallroten Dominakostüm und Wolfskopf ausgestattet Judenschauerin sowie die aggressive und laute Rockmusik nehmen viel von der zuvor so stringent aufgebauten Dramatik weg und machen daraus eine Slapsticknummer. Ihr lasziver Abgang vorbei am völlig verstörten Popen schafft Raum für das eindringliche Schlussbild, in dem Barblin, nun verrückt geworden, wieder weißelt, diesmal ihren eigenen Körper, ein vergeblicher Versuch, ihre eigene Unschuld wieder zu gewinnen. Danach gab es standing ovations, Minuten lang, vor allem für einen wunderbaren Tim Tölke als Andri, aber auch für eine ausgezeichnete Gesamtensembleleistung. 

wundern geschieht immer wieder ...

Vergangen vergessen vorüber vergangen vergessen vorbei die zeit deckt den mantel darüber vergangen vergessen vorbei freddy quinn Als Deut...