Samstag, 22. Dezember 2018

Trumps syrische Überraschung

Russland auf dem historischen Prüfstand. "Korrekt" findet Wladimir Putin den von Donald Trump angekündigten Rückzug amerikanischen Militärs aus Syrien, auch wenn man erst einmal abwarten müsse, ob der Ankündigung auch Taten folgen werden. Zu oft habe man Rückzugsankündigungen von amerikanischer Seite gehört, so Putin, bei denen dann das Gegenteil von dem erfolgt sei, was zuvor angesagt worden sei.

von Kai Ehlers

Der russische Außenminister Sergei Lawrow, ebenso wie der ständige Botschafter Russlands bei den vereinten Nationen Wassili Nebensja sowie weitere Offizielle aus dem russischen Regierungsapparat stimmten in diesen Ton ein. In Moskau lautet das Motto ganz offensichtlich: Ruhe bewahren.
Das passt zu Putins traditioneller Weihnachtsbotschaft, die er nutzte, um der Welt zu erklären, dass alles in Russland und auch außerhalb des Landes seinen ruhigen Gang gehe. Selbst die von den USA mit der Aufkündigung des INF-Vertrages in Gang gesetzte Aufrüstungsspirale sei kein Grund zur Aufregung, erklärte er. Strategisch sei Russland für alle Fälle gerüstet.
Von China hört man zu Trumps Coup aktuell überhaupt keinen Kommentar, der über die schon früher erklärte Bereitschaft Pekings hinausginge sich am Wiederaufbau des Landes zu beteiligen.
Ganz anders geht es auf der anderen Seite zu: Trumps Ankündigung, das US-Militär aus Syrien abzuziehen, weil der "Job" dort erledigt sei, also der "IS", wie Trump angibt, geschlagen, versetzte Regierung wie Opposition in den USA, ebenso wie die Schar der westlichen Verbündeten in heftige Erregung – von wütenden Kritiken in Trumps nächster Umgebung, deren Vertreter ihre nationalen Ziele als Weltmacht bedroht sehen, bis zur Panik derer, die sich plötzlich ihrer Schutzmacht beraubt sehen.


Lasten für Russland 


Was wird man finden, wenn sich der Rauch der ersten Stunde gelichtet haben wird? Machen wir einen Versuch:
Auf der Hand liegt ohne Zweifel, dass Trump versucht die Last einer gescheiterten US-Politik der letzten Jahre den Russen aufzubürden, um Russlands gewachsene Kräfte zu binden und um die Hände frei zu haben für die Front gegen China.
Darüber hinaus haben die Gas- und Ölfelder Syriens zur Zeit, angesichts der hochgefahrenen US-eigenen Ressourcen an Flüssiggas, für die USA nicht mehr die Bedeutung, die sie noch hatten, als die Konservativen unter G. W. Bush den Plan des "new american century" entwarfen, in dessen Zuge sich die USA den Zugriff auf die mesopotamischen Ressourcen an Gas und Öl glaubten sichern zu müssen – und zu können. Der Erfolg dieser Strategie, besser gesagt, der Misserfolg, steht heute erkennbar in keinem vertretbaren Verhältnis zu den wirtschaftlichen und politischen Kosten, die sie für die USA gebracht hat und die eine weitere Fortsetzung dieser Politik bringen könnte.
Wie es aussieht, will Trump sich energietechnisch eher dem eigenen Kontinent zuwenden, einerseits wegen einer relativen Autarkie auf eigenem Gelände, zum anderen wegen der Ressourcen in unmittelbarer Nachbarschaft Lateinamerikas. Damit wären die USA weniger angreifbar – weniger gefährdet durch Russland und China.
Hierhin gehören auch die äußerst aggressiven Pläne, Europa und Russland energiepolitisch zu trennen, konkret die Gastrasse "Nordstream 2" wie auch die russisch-türkische Pipeline zu verhindern, um Europa von US-Lieferungen abhängig zu machen. Dies rückt den Ukraine Konflikt statt des syrischen wieder mehr in den Focus des US-Interesses.

In Syrien kommt Russland bei diesem Szenenwechsel in die Situation, die Lasten eines keineswegs befriedeten Krisenraumes tragen zu müssen, das heißt, die türkische Expansion wie auch den israelisch-iranischen Konflikt eindämmen zu müssen, während Saudi Arabien stellvertretend für die USA so viel Unruhe schaffen kann, wie nötig ist, um noch weitere Kräfte Russlands zu binden.

Wird Russland diese Last schultern wollen? Noch anders, hat Russland überhaupt eine Chance sich vor dieser Aufgabe zu drücken? Eher sieht es so aus, als ob das bisher von den Russen betriebene zurückhaltende globale Krisenmanagement nunmehr in eine Expansion gezwungen wird, die Russland überfordern und dazu verleiten könnte, von der Rolle des globalen Krisenmanagers in die Rolle der imperialen Ordnungsmacht überzuwechseln – mit entsprechenden machtpolitischen Folgen.

Die Augen der Welt auf "Rojava"

Zwei miteinander untrennbare Fragen erheben sich dabei ganz unmittelbar: Wie wird Russland mit den Kurden umgehen? Konkret: Wird es die Türkei daran hindern, den autonomen Ansatz "Rojava" zu zerschlagen oder wird es den Kurden als neuer Bündnispartner beiseite stehen? Und welche Auswirkungen wird die Haltung, die Russland gegenüber den Strukturen der Selbstverwaltung "Rojavas" einnimmt, auf die eigene innenpolitische Situation Russlands haben? Die Augen der Welt werden auf Russlands Vorgehen in dieser Frage liegen. Putin ist ja nicht gerade als Liebhaber von Strukturen der Selbstverwaltung der in "Rojava" gelebten Art bekannt.
Fasst man dies mit dem zusammen, was schon weiter oben zu den außenpolitischen Aspekten gesagt wurde, so wird deutlich, dass Russland mit dem Strategiewechsel der Trump-Regierung in eine Lage gedrängt wird, in der sich entscheiden wird, ob Russland unter Putin seine bisherige Linie der defensiven Politik des Krisenmanagements im Inneren wie im Äußeren beibehalten kann oder ob es sich in eine neue, illusionsloser gesagt, die alte machtpolitische Rolle drängen lässt.

Die zurückhaltenden Reaktionen Putins und des russischen Regierungsapparates lassen hoffen – aber sicher ist es selbstverständlich nicht, dass Russland dem Druck standhält, denn noch hat man von Russland keine grundsätzlichen Alternativen zu den bisher geltenden Regeln der globalen Staatenordnung gehört. Die aber wären bitter nötig, um eine erneute Zuspitzung machtpolitischer Konkurrenz zu überwinden.

Donnerstag, 6. Dezember 2018

Theater Paderborn. Little Voice und die heile Welt



Ein Hauch von Londoner Westend weht über den weihnachtlich geschmückten, aber nasskalten Paderborner Neuen Platz in Katharina Kreuzhages Inszenierung von Jim Cartwrights modernem Klassiker ´Little Voice`.

von Erhard Hofmann

Die Geschichte ist schnell erzählt. Eine durch ihre Sozialphobien und den frühen Tod ihres Vaters traumatisierte, von der Welt entrückte junge Frau, die eigentlich Laura heißt, aber von allen ob ihrer leisen Stimme nur L.V., Little Voice, genannt wird (überzeugend: Josephine Mayer), lebt mit ihrer durchgeknallten Mutter Mari Hoff (schrill: Eva Brunner), die an nichts anderes als sich selbst, schlechten Sex und ungesundes Essen denken kann, in äußerst bescheidenen und beengten Verhältnissen: Die Mutter unten, chaotisch und ausgestattet mit allerlei geschmacklosen Möbeln und Accessoires (Bühne: Tobias Kreft), die Tochter oben, mit der großen Plattensammlung ihres verstorbenen Vaters als Erbe, einem Bett und ihrem Teddybären als Bezugsperson. Im Hintergrund leuchten die Sterne und der Mond. Wenn die Mutter jemanden zum Ausheulen braucht, schreit sie nach ihrer Nachbarin Sadie (wunderbar: Kirsten Potthoff), die dann ausstaffiert wie eine Litfaßsäule angewackelt kommt (Kostüme: Matthias Strahm) und sich von Mari volllabern lässt, dass es kaum zum Aushalten ist. Ihr einziger Redebeitrag besteht in der Regel aus ´okay`. 
Komplettiert wird diese exquisite Ansammlung an mitleiderregenden Gestalten durch Ray Say (stark: Alexander Wilß), einem selbsternannten Talent-Scout, der jüngste Lover der unersättlichen Mari, dann den schleimigen Nachclubbesitzer Mr. Boo, der Name sagt eigentlich schon alles (Oliver Fobe, dazu noch Billy (Ogün Derendeli), dem Telefontechniker, der den Menschen hinter L. V. erkennt und sich in sie verliebt. Und dann ist da noch der zweite Telefontechniker sowie ein Fleurop-Mann, beide Rollen gespielt von David Lukowczyk. Dem windigen und skrupellosen Ray Say gelingt es letztendlich mit viel Druck und Tricks, Little Voice dazu zu bewegen, in der Show von Mr. Boo als Supertalent aufzutreten.
Diese Ansammlung an schrägen Individualitäten würde ausreichen, um aus dem Stück ein veritables modernes Sozialdrama zu machen (wie sagt doch Mari: „Es geht darum zu kämpfen und zu leiden. Und am Ende schafft man es dann doch irgendwie“).
Nun ist das Ganze aber konzipiert als Musical mit einer ausgezeichnet aufspielenden 9-köpfigen Band (ganz stark das Bläserensemble), den Mr. Boo´s Boys, die vor allem nach der Pause, als sie von oben ins Varieté einschweben, zeigen, was sie so alles drauf haben, und einer wunderbaren Sängerin Josephine Mayer als Little Voice, die in der Varietéshow des Mr. Boo gefeierte Konzerte gibt und mit ihrem gewaltigen Stimmvolumen ganze Hallen füllen könnte.
Die Auflösung am Ende ist dann auch dem Musicalgenre und der vorweihnachtlichen Jahreszeit angemessen. Little Voice und Billy finden nach einem dramatischen Nervenzusammenbruch von Little Voice zueinander, nachdem er ihr zugeraunt hat, sie solle nicht weiter imitieren, sondern mit ihrer eigenen Stimme singen, und er höre ihr zu. Ihre neue, unschuldige Liebe manifestieren die beiden durch ein wunderbares Duett am Ende: Come fly with me, let´s fly away von Frank Sinatra.





wundern geschieht immer wieder ...

Vergangen vergessen vorüber vergangen vergessen vorbei die zeit deckt den mantel darüber vergangen vergessen vorbei freddy quinn Als Deut...