Montag, 16. September 2019

Theater Paderborn. Wer hat Angst vor Virginia Woolf?

von Erhard Hofman

Distakul, Tölke, Schäfer, Mayer © Foto Viehoff

Spätestens seit der grandiosen Verfilmung von ´Wer hat Angst vor Virginia Woolf` mit Liz Taylor und Richard Burton in den Hauptrollen, sozusagen der Vorläufer aller reality soaps, hat Edward Albees Stück aus dem Jahr 1962 die Bühnen der Welt erobert. Nun also auch das Paderborner Große Haus.
Es könnte alles so schön sein: schicke Villa mit Außenpool (Bühne: Eylien König, Kostüme: Irmgard Kersting), gesichertes Einkommen als Unidozent, gut vernetzt im intellektuellen Establishment der Stadt, aber mit Idylle ist nix in dieser scheinbar so schönen Welt. Das Stück geht ohne Vorwarnung in die Vollen: Volltrunken kommen George (Herbert Schäfer) und Martha (Josephine Mayer) (kleine Namensreferenz an den US-Vorzeigepräsidenten George Washington) von einer Party, zu der Marthas Vater als Unipräsident geladen hat, nach Hause. Mit diesem fulminanten Intro legt die Regisseurin Ulrike Maak das Fundament für den Rest des Abends: unverblümt, aggressiv, sexuell aufgeladen, hemmungslos werden die Wunden eines frustrierten Ehelebens offengelegt. Fataler Helfer in der Not ist der Alkohol: je mehr, desto enthemmter. „Gut, besser, am besten, bestialisch“ steigert George grammatisch und semantisch nicht ganz korrekt seine Maxime. Leider hat Martha auch noch die neuen Nachbarn, den jungen, aufstrebenden Biologiedozenten Nick (Tim Tölke) und seine namenlose, weil immer nur ´Süße` genannte Frau (Pornpailin Distakul), zur Party danach eingeladen.
Im ersten Teil des Dreiakters, den Maak angelehnt an das römische panem et circenses ´Spaß und Spiele` nennt, werden die beiden ahnungslosen Gäste in dieses abgründige Spiel der gegenseitigen Selbstentblößung hineingezogen. Der völlig frustrierte und zynische George liefert sich mit der lasziven und nicht minder vom Leben gezeichneten Martha ein unglaubliches Gefecht an wechselseitigen Erniedrigungen, gegen die sich der eher stromlinienförmig daherkommende Nick und seine zwischen naiv und explosiv changierende Süße kaum wehren können. Im 2. Akt, Walpurgisnacht betitelt, werden dann auch deren Abgründe deutlich. Und es wird im Verlauf des Abends immer deutlicher: es gibt ein Spiel hinter dem Spiel, eine geheime Verabredung zwischen Martha und George, die ihre Lebenslüge für sie überhaupt noch halbwegs erträglich macht: sie erzählen sich und klammern sich an die Geschichte eines nur in ihrer Fantasie existierenden Sohns. Leider bricht Martha die einzige fixe Regel ihres makabren Spiels: Niemals über den Sohn mit anderen sprechen. Dies führt dann im dritten Akt, der Teufelsaustreibung, zur finalen Eskalation und letztendlich zum stillen, fragilen Ende des Krieges. „Jetzt wird es besser, vielleicht“ ist die Hoffnung.
Das insgesamt in die Jahre gekommene Stück lebt eindeutig von der Qualität des Schauspiels. Die vier Akteure bestechen durch intensives, authentisches und variables Theater. Das zu Beginn angeschlagene Tempo wird durch die ganze Inszenierung in einem wahren Hexenritt durchgetragen. Es ist Sprechtheater im besten Sinne, von Ulrike Maak klug und mit großer Stringenz inszeniert. Ein toller Theaterabend: und das Publikums dankt es mit langem Applaus. 

Montag, 2. September 2019

THE BLACK RIDER. Ein wunderbarer Theaterabend ...

... und ein genialer Einstieg in die neue Spielzeit am Theater Paderborn. 

von Michael Mentzel

Minetti, Faseler, Derendeli, Sutter, Potthoff, Wilß, Hugendick- Foto Ch. Meinschäfer


Was tut ein "Sesselfurzer", wenn er die Tochter des Försters heiraten möchte, der Vater der Angebeteten (Alexander Wilß) aber darauf besteht, dass der künftige Ehemann schießen können muss? Richtig, er muss es lernen. So gebietet es die Konvention, der Brauch, die Tradition. "Kommt was in den Magen rein, folgt das Herz von ganz allein!" Also: "Lerne Jagen!". 

Die Schießübungen jedoch fallen bescheiden aus, denn die Tiere, die der Amtsschreiber Wilhelm (Carsten Faseler) erlegen möchte, sehen ihn nur mitleidig an, zucken mit den Schultern und traben davon. Da kommt dem armen Wilhelm, der mit dem Federkiel besser umgehen kann als mit einer Flinte, der Stelzfuß (Daniel Minetti) gerade recht. Dieser nämlich verschafft ihm die Kugeln, die ihr Ziel von ganz allein treffen. Verträge dieser Art haben allerdings oft auch etwas Kleingedrucktes und so hat der Höllenritt, den Wilhelm mit Hilfe dieses Agreements nun antritt, einen kleinen Haken. Das Ziel der siebten - der letzten - Kugel wird nämlich von Stelzfuß bestimmt. 

Bis es aber zum Showdown kommt, durchlebt das Publikum ein Feuerwerk von Ideen, die sich Tom Waits, William S. Burroughs und Robert Wilson in Anlehnung an die Legende Carl Maria von Webers Freischütz haben einfallen lassen, ein Spektakel von, Musik, Schauspiel und Bewegung, immer frisch, witzig und voller Überraschungen. 
Die Szenerie (Bühnenbild von Matthias Strahm) erinnert an den Schützenfest-Zeltplatz vor dem Dorf: Festzelt, Bierbänke und ein Getränkekühlschrank, der sich im Verlauf des Stückes noch für etwas anderes eignen wird. Alles - und noch mehr - ziemlich abgeranzt und in eher düsteres Licht getaucht, die Kostüme in fast ebensolchem Zustand, und die Protagonisten in einem Outfit, bei denen man nicht an die Kleiderläden auf der Paderborner Westernstraße denken mag, sondern sich eher in Third-Hand-Läden in Downtown-Irgendwo versetzt fühlt. 
Ein geniales Ambiente also für die Musik von Tom Waits, gespielt von der Sebastian Müller Band, die dem Stück jene Atmosphäre verleiht, die an Texte von Bukowski oder Ginsberg erinnert. Alle musikalischen Stilrichtungen werden auf eine geniale Weise mit einer Sound- und Geräuschkulisse miteinander verwoben, Musik, die absolut authentisch daherkommt. Ein Hörgenuss vom feinsten! Dazu der Gesang der Protagonisten, die Einsätze, das Timing...

Claudia Sutter, herrlich skurril als Käthchen, Kirsten Potthoff, wunderbar schräg als Mutter Anne, Ogün Derndeli als der besser schießende Mitbewerber Robert, Niklas Hugendick als lebensweiser Kuno und anderen Rollen (unter anderem als Georg Schmidt) vervollständigen das Ensemble.
Ein weiteres Highlight des Stückes ist die Choreographie (Moira Fetterman). Auch hier ist alles aus einem Guß, zusammen mit der Musik, dem spielfreudigen Gesamt-Ensemble, das sich im Verlauf des Stückes - auch gesangstechnisch - immer mehr steigert. Und last but not least ist der Regisseur Ingmar Otto zu nennen, der in Paderborn unter anderem auch den "Kleinen Horrorladen" inszenierte und dessen Ideen dieses Stück zu einem wahren Freuden-Feuerwerk macht. 
So erleben wir ein Gesamtkunstwerk, wie es schräger, intimer, tragischer, witziger, und lebendiger kaum sein könnte. Das Paderborner Premierenpublikum feierte das Ensemble begeistert und hätte sich gern über eine zweite Zugabe gefreut. Unsere Empfehlung: Auf jeden Fall hingehen! 


Die Band:

Klavier Sebastian Müller 
Trompete Jonas Spieker / Daniel Reichert 
Saxophon Sven Hoffmann / Thorsten Floth 
Drums Clemens Ohlendorf / Sven Pollkötter 
Kontrabass Daniel Le-Van-Vo / Marius Strootmann 
Gesang / Vocalpercussion Anna Borsdorf / Feli Ammer 

Musik und Gesangstexte von Tom Waits 
Regie und Stage Design der Originalproduktion von Robert Wilson 
Original Orchestration von Tom Waits und Greg Cohen 
Buch von William S. Burroughs 

Weitere Vorstellungen:

06.09. / 20.09. / 26.09. / 28.09. / 04.10. / 10.10. / 12.10. / 17.10. / 20.10. / 26.10. 

wundern geschieht immer wieder ...

Vergangen vergessen vorüber vergangen vergessen vorbei die zeit deckt den mantel darüber vergangen vergessen vorbei freddy quinn Als Deut...