Ein Hauch von Londoner Westend weht über den weihnachtlich geschmückten, aber nasskalten Paderborner Neuen Platz in Katharina Kreuzhages Inszenierung von Jim Cartwrights modernem Klassiker ´Little Voice`.
von Erhard Hofmann
Die Geschichte ist schnell erzählt. Eine durch ihre Sozialphobien und den frühen Tod ihres Vaters traumatisierte, von der Welt entrückte junge Frau, die eigentlich Laura heißt, aber von allen ob ihrer leisen Stimme nur L.V., Little Voice, genannt wird (überzeugend: Josephine Mayer), lebt mit ihrer durchgeknallten Mutter Mari Hoff (schrill: Eva Brunner), die an nichts anderes als sich selbst, schlechten Sex und ungesundes Essen denken kann, in äußerst bescheidenen und beengten Verhältnissen: Die Mutter unten, chaotisch und ausgestattet mit allerlei geschmacklosen Möbeln und Accessoires (Bühne: Tobias Kreft), die Tochter oben, mit der großen Plattensammlung ihres verstorbenen Vaters als Erbe, einem Bett und ihrem Teddybären als Bezugsperson. Im Hintergrund leuchten die Sterne und der Mond. Wenn die Mutter jemanden zum Ausheulen braucht, schreit sie nach ihrer Nachbarin Sadie (wunderbar: Kirsten Potthoff), die dann ausstaffiert wie eine Litfaßsäule angewackelt kommt (Kostüme: Matthias Strahm) und sich von Mari volllabern lässt, dass es kaum zum Aushalten ist. Ihr einziger Redebeitrag besteht in der Regel aus ´okay`.
Komplettiert wird diese exquisite Ansammlung an mitleiderregenden Gestalten durch Ray Say (stark: Alexander Wilß), einem selbsternannten Talent-Scout, der jüngste Lover der unersättlichen Mari, dann den schleimigen Nachclubbesitzer Mr. Boo, der Name sagt eigentlich schon alles (Oliver Fobe, dazu noch Billy (Ogün Derendeli), dem Telefontechniker, der den Menschen hinter L. V. erkennt und sich in sie verliebt. Und dann ist da noch der zweite Telefontechniker sowie ein Fleurop-Mann, beide Rollen gespielt von David Lukowczyk. Dem windigen und skrupellosen Ray Say gelingt es letztendlich mit viel Druck und Tricks, Little Voice dazu zu bewegen, in der Show von Mr. Boo als Supertalent aufzutreten.
Diese Ansammlung an schrägen Individualitäten würde ausreichen, um aus dem Stück ein veritables modernes Sozialdrama zu machen (wie sagt doch Mari: „Es geht darum zu kämpfen und zu leiden. Und am Ende schafft man es dann doch irgendwie“).
Nun ist das Ganze aber konzipiert als Musical mit einer ausgezeichnet aufspielenden 9-köpfigen Band (ganz stark das Bläserensemble), den Mr. Boo´s Boys, die vor allem nach der Pause, als sie von oben ins Varieté einschweben, zeigen, was sie so alles drauf haben, und einer wunderbaren Sängerin Josephine Mayer als Little Voice, die in der Varietéshow des Mr. Boo gefeierte Konzerte gibt und mit ihrem gewaltigen Stimmvolumen ganze Hallen füllen könnte.
Die Auflösung am Ende ist dann auch dem Musicalgenre und der vorweihnachtlichen Jahreszeit angemessen. Little Voice und Billy finden nach einem dramatischen Nervenzusammenbruch von Little Voice zueinander, nachdem er ihr zugeraunt hat, sie solle nicht weiter imitieren, sondern mit ihrer eigenen Stimme singen, und er höre ihr zu. Ihre neue, unschuldige Liebe manifestieren die beiden durch ein wunderbares Duett am Ende: Come fly with me, let´s fly away von Frank Sinatra.
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