Montag, 4. Juni 2018

Grandiose Inszenierung!

Das ganz große Besteck wurde am Samstagabend im Großen Haus des Paderborner Theaters ausgepackt. In einer grandiosen Inszenierung von Martin Schulze feierte das Shakespearesche Schurkenstück ´Richard III` seine umjubelte Premiere. 

von Erhard Hofmann, Themen der Zeit

Das gesamte Ensemble - Foto Kreft

Schon das Bühnenbild und die Kostüme von Silvie Naunheim sind eine Wucht: Grauschwarze Schalungselemente bilden den seitlichen Rahmen, nach hinten wird die Bühne begrenzt durch eine verschiebbare Spiegelglaswand mit gewölbten Scheiben, die je nach Beleuchtung verzerrte Abbilder der Figuren im Vordergrund zeigen oder aber den freien Blick in den hinteren Bühnenraum gewähren. In schwarzen Plastiksäcke eingepackt hängen all die Leichen, die Richard als Herzog von Gloster auf seinem Weg zum despotischen König zu verantworten hat. Dazwischen der von seiner körperlichen Behinderung gezeichnete Richard, grandios interpretiert von David Lukowczyk. Im berühmten Anfangsmonolog des Dramas deklamiert er, warum er beschließt, als dämonischer Bösewicht durch die Welt zu gehen, um mit eiskalter Berechnung sein scheinbar unerreichbares Ziel zu verfolgen, nämlich König von England zu werden. Er sieht sich von der Natur „um äußeren Reiz betrogen“ und von der ganzen Welt verraten. Das Konzept des Außenseiters, von Shakespeare in zahlreichen Stücken zum Thema gemacht, wir hier auf die Spitze getrieben. Richard ist ohne jede Moral, ohne jede menschliche Regung, die pure Niedertracht. Am Ende des Monologs entschweben die Leichensäcke nach oben, bleiben aber immer sichtbar und bilden damit den allgegenwärtigen Beweis, dass Richard seinen bösartigen Ankündigungen Taten folgen ließ.

In einer fatalen Mischung aus mephistophelischer Gerissenheit und machiavellischer Intelligenz, unglaublich facettenreich gespielt von Lukowczyk, nimmt die Tragödie nun ihren Verlauf. Jeder, der sich Richard auf seinem Weg zum König in die Quere stellt, wird brutal und erbarmungslos beseitigt. Dies widerfährt zunächst Clarence, seinem zweiten Bruder und ebenfalls Rivale auf den Thron, den er bei seinem ältesten Bruder, König Edward IV, verleumdet (beide überzeugend gespielt von Alexander Wilß), weshalb er zunächst in den Tower gesperrt wird. Dort töten ihn auf Richards Geheiß zwei gedungene Mörder (in bester shakespearescher komödianter Manier Ogün Derendeli und Tim Tölke). Richard treibt sein böses Machtspiel jedoch immer perfider und unerträglicher weiter. Unverfroren hält er um die Hand von Lady Anne an (mit großer Intensität: Gesa Köhler), die mit tiefer Empörung reagiert, hat Richard doch soeben sowohl ihren Gatten, Prinz Eduard, wie auch dessen Vater Heinrich VI ermorden lassen. Als sie sein Werben zunächst ablehnt, erhöht er die Schlagzahl weiter, indem er ihr vorgaukelt, die Morde nur aus Liebe zu ihr begangen zu haben und ihr seinen Dolch reicht, damit sie ihn töte. Anne vermag dies nicht und gibt letztendlich seinem teuflischen Werben nach. Immerhin für König Eduard IV braucht Richard keinen Mordplan; das Schicksal ist ihm hold, er stirbt ohne sein Einwirken. Nicht so dessen Söhne, die ebenfalls im Tower durch die Hand seines ganz in Unschuldsweiß gekleideten Gefolgsmanns und Kollaborateurs, des Herzogs von Buckingham (facettenreich: Stephan Weigelin), sterben müssen. Gleiches widerfährt auch Lord Hastings (Ogün Derendeli), der es als einer der Wenigen wagt, sich Richard entgegen zu stellen. Beindruckend der Moment, als der Bürgermeister von London erschrocken im abgehackten Kopf Hastings` sein eigenes Abbild erkennt. Jetzt ist endlich der Weg zum Thron frei. In einer wunderbar inszenierten Krönungsszene, in der hinter der Spiegelglaswand, unterstützt von drei von oben herab schwebenden Neonlichtkreuzen, der neue König heuchlerisch frömmelnd die Krone „gezwungenermaßen“ annimmt, während sich davor die Gesichter der hinter skurrilen, großkopfigen Unschuldsmasken verbergenden Bürger, aber auch das gesamte Publikum in den gewölbten Scheiben fratzenhaft spiegeln. Es ist das passiert, was zunächst keiner für möglich gehalten hat: selbst einer wie Richard kann König werden.

Und ist er es erst einmal geworden, dann ist es zu spät für Widerstand. Die drei Königswitwen, Elisabeth als Frau von Edward IV (kraftvoll: Josephine Mayer), Margaret als Witwe Heinrichs VI (umwerfend tragisch-skurril: Willi Hagemeier) und die Herzogin von York als Richards und somit auch Edwards Mutter (überzeugend: Kirsten Potthoff) fluchen und schimpfen über die neue politische Situation. Aber diese Flüche können Richard, der als neuer König aus den Unterwelten des Hades auftaucht, bei der Zementierung seiner Macht nicht erschrecken oder gar aufhalten. Er ist jetzt der unangefochtene Despot und Höllenhund, der sich nicht mehr verstellen muss.  Allein die wie eine nornenhafte Schicksalsgöttin konzipierte Figur der Margret bietet ihm die Stirn. Und es formiert sich Widerstand von außen. Seine Gegner ziehen unter der Führung des Grafen Richmond gegen ihn ins Feld. Richard ist einsam geworden, er ahnt seinen Niedergang, hat Albträume, in denen ihn seine Schand- und Mordtaten verfolgen. In einem höchst eindrücklichen Schlussbild tauchen maskenhaft seine Ebenbilder hinter der Spiegelglaswand auf: verzweifeln soll er und sterben, schleudern sie ihm entgegen. Zum ersten Mal ist Richard als Mensch berührt, sein Gewissen regt sich. Seine Ebenbilder kreisen ihn ein, bedrängen ihn. Es bedarf keiner großen Schlacht, ihn zu töten. Das Kartenhaus bricht einfach zusammen, der Spuk hat ein Ende.


Martin Schulze hätte es einfach gehabt, Parallelen zu heutigen politischen Figuren zu ziehen. Vorlagen dafür gibt es bekanntermaßen auch jenseits von Donald Trump und Kim Jong-un reichlich. Er hat jedoch in seiner Inszenierung das Allgemeingültige des Stückes im Blick gehabt. Wie kann es sein, dass ein sichtbar Verrückter die Macht ergreift? Warum begehrt das Volk nicht auf, glotzt nur stumm und dämlich auf das, was da gerade passiert?  Wie steht es um die Kollaborateure und Schergen? Schulze schafft dadurch, dass er Figuren ohne Kostümwechsel in andere Rollen schlüpfen lässt, eine ständige Verwirrung, die es dem Strippenzieher Richard erst möglich macht, in die sich dadurch öffnenden Leerräume zu stoßen. Atemlos und fasziniert zugleich sitzt das Publikum vor diesem ungeheuerlichen Geschehen, lasst sich verwirren und an der Nase herumführen, und erst mit Richards Tod löst sich die Spannung. Dann jedoch ohne Grenzen: minutenlanger, tosender Applaus für ganz großes Theater! 

1 Kommentar:

avvilibber28 hat gesagt…

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