Die Nachbarschaft zur Rudolf Steiner-Schule Schloss Hamborn bringt es mit sich, dass uns die Projekte und Aktionen, die es an dieser Schule so zahlreich gibt, natürlich nicht verborgen bleiben. Und so war es auch in diesem Jahr (übrigens zum 27. Mal!) mit dem englischen Klassenspielprojekt der Klasse 10a.
TdZ-Autor Erhard Hofmann beschreibt den Prozess der diesjährigen Aufführung aus der Sicht des Regisseurs und Klassenbetreuers, der diesen Prozess intensiv mit erlebt hat.
Spätsommerzeit ist für die 10. Klasse der Rudolf Steiner Schule Schloss Hamborn immer auch Shakespearezeit. In diesem Jahr stand das politisch umstrittenste Stück des englischen Dramatikers auf dem Spielplan: The Merchant of Venice. Man kann es lesen als einen antisemitisch angehauchten Rachethriller, im dem der jüdische Geldverleiher Shylock dem Christen Antonio 3000 Dukaten leiht mit der Auflage, wenn er diese nicht zurückzahlen könne, er mit einem Pfund Fleisch bezahlen müsse, „to be cut off and taken in what part of your body pleaseth me“. Es ist aber auch eine fast leichte und sehr romantische Komödie über eine reiche Erbin namens Portia, die auf der fiktiven Wohlfühlinsel Belmont lebt und dort sich vor allem darum sorgt, welchen Ehemann das Schicksal ihr bescheren würde, hat doch ihr verstorbener Vater das Verfahren dafür in seinem Testament klar festgelegt. So changiert das Stück permanent zwischen der sich immer weiter verengenden Welt Shylocks, der aufgrund der ständigen Demütigungen und Ausgrenzungen, denen er unterworfen ist, immer engstirniger und unnachgiebiger wird und der heiteren Märchenwelt Belmonts als pastoraler Gegenwelt für das Gute und Schöne. Erschütternd sind die Monologe Shylocks, in denen er sein Seelenleben und tiefe Verletztheit offenbart und Gründe liefert für sein einziges Ansinnen, das ihn letztendlich noch antreibt, nämlich das Motiv der Rache. Als er gefragt wird, wofür es gut sein soll, wenn er auf den mit Antonio geschlossenen Deal bestände, antwortet er:
If it will feed nothing else, it will feed my revenge; he hath disgraced me …, laughed at my losses, mocked at my gains, scorned my nation,…cooled my friends, heated mine enemies, - and what´s his reason? I am a Jew. Hath not a Jew eyes? Hath not a Jew hands,… senses, affections, passions?...If a Jew wrong a Christian, what is his humility? Revenge! If a Christian wrong a Jew, what should his sufferance be by Christian example? – why revenge! (Akt IIII, Szene 1)
Für Shylock geht es also darum, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, es geht um das auch in der großen Politik wieder in Mode gekommene Motiv: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Er ist zu verletzt und verbittert, um auch nur ansatzweise das denken und fühlen zu können, was ihn befreien könnte, die Gnade der Vergebung. Im vierten Akt, in dem es in einem Gerichtsverfahren um den Vollzug des Vertrags geht, versucht die nun als Gerichtssachverständige verkleidete Portia ihn von seinem Ansinnen abzubringen. In einer der wohl berühmtesten Shakespeareschen Zeilen sagt sie: The quality of mercy is not strained.Und weiter: It droppeth as the gentle rain from heaven upon the place beneath. It is twice blest: It blesseth him that gives and him that takes. It is an attribute to God himself (Akt IV, Szene 1). Vergebung muss von innen kommen, ehrlich gemeint sein, dann erfüllt sie sowohl den, der sie erhält, aber vor allem auch den, der sie bereit ist zu geben.
Damit wird der Kaufmann von Venedig zu einem großen Stück über Vergeben und Verzeihen, über die Kraft der Liebe, und auch darüber, wie der Mensch Zugang findet zu diesen Qualitäten. So sagt Lorenzo zu Shylocks Tochter Jessica, die vor ihrem hartherzigen und zelotischen Vater geflohen ist, in einer romantischen Mondnacht zu seiner Geliebten: Here will we sit and let the sounds of music creep in our ears; soft stillness and the night become the touches of sweet harmony. … The man that has no music in himself, is fit for treasons, violence and spoils. (Akt V, Szene 1). Wer keine Musik in sich spüren kann, der ist der Gefahr des Verrats, der Gewalt und der Verirrungen ausgesetzt.
Den Zugang zu diesen großen Fragen des Menschseins hat sich die 10a in bewundernswerter Weise im Probenprozess Schritt für Schritt selbst errungen. Es wurde ausprobiert, verworfen, gestritten, fast aufgegeben, verziehen, erneut probiert und schließlich das Ganze zu einem Ergebnis geführt, das sich sehr sehen lassen konnte. Die Lösungen für manches Problem ergaben sich erstaunlicherweise meist aus dem Stück selbst. Insbesondere in den beiden Aufführungen in England an unserer Partnerschule in Stourbridge zeigte die Klasse eine tiefe Innigkeit und große Spielfreude. Am Ende stand verdienter Jubel, aber auch Erleichterung. Der Dank für diese großartige Arbeit gebührt allen beteiligten Lehrern, aber vor allem der Klasse, die immer stärker die notwendige Verantwortung übernommen hat, um das Projekt zum Gelingen zu bringen.
Neben der Theaterarbeit ist die Klassenfahrt nach England jedoch auch immer Begegnung mit einer anderen Kultur, mit einer anderen Sprache, mit Ungewohnheiten und Besonderheiten, die sich vor allem auch dadurch zeigen, dass die Unterbringung in englischen Gastfamilien erfolgt. So haben die Schülerinnen und Schüler viel erfahren über das englische Wetter (gar nicht mal so schlecht), englische Essgewohnheiten (manchmal gewöhnungsbedürftig), englische Hausgrößen (Größe ist das falsche Wort) und über das family life im Allgemeinen (die Berichte darüber bleiben verhüllt im Mantel des Persönlichen). Daneben gab es wie immer reichlich landeskundlichen Stoff bei unseren Ausflügen nach Worcester (sprich: Wusta), Birmingham, Stratford und natürlich am Ende nach London. Somit war auch die 27. Neuauflage dieses umfangreichen Projektes frisch und erlebnisreich wie bei ersten Mal!
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